Wo Kunst Gemeinschaft bildet

aus sub-bavaria, dem Internet-Lexikon der bayerischen Subkulturen
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Text von Patrick Gruban für den Katalog "5 Jahre program angels/lothringer13", Oktober 2005.

Auch im sonst so schicken München gibt es eine junge Kunstszene, die sich außerhalb fester Institutionen selbstorganisiert trifft. In den letzten Jahren haben sich etliche, zum Teil temporäre Projekte in alten Läden, Clubs, Privatwohnungen und Lounges entwickelt. Doch welche Veranstaltungsform wird am ehesten den künstlerischen Inhalten gerecht?

Auf dem kleinen Couchtisch stehen Salzstangen und Chips, in einer Kanne ist Tee und in der anderen Kaffee. Wein hat heute keiner mitgebracht, dafür Süßigkeiten aus der Bäckerei nebenan. Nach und nach kommen die Gäste ins Wohnzimmer und nehmen auf dem Sofa Platz und auf den Stühlen, die aus verschiedenen Teilen der Wohnung zusammengesucht wurden.

Seit Sommer 2003 trafen sich einmal im Monat zwischen vier und zwanzig Diskutanten in Rosa von der Schulenburgs Salon, den sie in ihrer Sendlinger Wohnung veranstaltete. Bevor sie nach München zog, hatte die habilitierte Kunsthistorikerin schon mehrere Jahre in Frankfurt einen Salon mitgeleitet. Das Konzept war in beiden Fällen das Gleiche: Nach einer kurzen Vorstellungsrunde stellt ein Referent ein Projekt vor, an dem er gerade arbeitet. Dies kann ein Text, eine Theaterproduktion, ein Performance-Konzept, ein Forschungsprojekt oder das Konzept einer Galerie sein. Danach wird über den Vortrag diskutiert, und am Ende des Abends geht der Referent mit einer Liste Vorschläge nach Hause. Die Gäste kamen aus dem Kunst- und Kulturbereich, durch Freunde und Kollegen erweiterte sich der Kreis. Mit der Übernahme der Kunstsammlung der Akademie der Künste in Berlin durch Rosa von der Schulenburg wurde zufälligerweise dieser Text im Juli 2005 der letzte Vortrag des Salons in München.

Die Tradition der Salons hat ihren Ursprung im Paris des 17. Jahrhunderts. Bis zum 19. Jahrhundert waren sie in der oberen Gesellschaft ganz Europas üblich. Sie wurden jeweils von der Salonnière organisiert und fanden an festen Tagen statt. Wer einmal eingeladen wurde, konnte immer kommen, es gab keine speziellen Einladungen. Im Mittelpunkt stand die zwanglose, aber höfliche Konversation über kulturelle Themen, Philosophie und Politik. Als Schatten lastet die Tatsache über der Münchner Salonkultur, dass Adolph Hitler hier durch seine Auftritte in der Gesellschaft Fuß fassen konnte.

Salons sind die Ausnahme in der Münchner Kunstszene, der der Ruf vorauseilt Vernissagen zu Zwecken der Selbstdarstellung der Gäste zu veranstalten. Vielleicht liegt es an der Medienstadt, dass der Schein oft mehr zählt als das Sein und die Pinakothek der Moderne vor allem wegen ihrer Architektur sofortigen Zuspruch fand, egal welche Kunst zu sehen ist. Vielleicht liegt es aber auch an die Mieten, die Bedingungen für Off-Spaces schwieriger machen und die viele Künstler auch in günstigere Wohnungen nach Berlin oder in andere Städte ziehen lässt und somit immer wieder der Fluss an Akademieabgängern im Isarbett zu versickern scheint. Dass es trotzdem und gerade in den letzten Jahren etliche Projekte Abseits der großen Institutionen und Galerien gab, erfreut umso mehr.

Rüdiger Belter, der neben seiner Mitarbeit am Kunstraum bis sich daheim den „mini salon“ leitet, begründet sein Engagement damit, dass er stärker auf das Publikum eingehen kann. Er holt die Gäste an der Tür ab und kann mit ihnen individuell über die jeweils gezeigte Arbeit reden und ihnen teils die Scheu vor aktueller Kunst nehmen. Radar, ein Veranstaltungsblatt, das sich auf temporäre Ausstellungsräume spezialisiert hat, zählt im Sommer 2005 acht Projekträume in München:

  • raum500, geleitet von drei Künstlern aus dem Akademie-Umfeld in der Blumenstrasse
  • .annapril auf der gegenüberliegenden Straßenseite, ein Ladengeschäft in dem von April bis Juli 2005 mehr als ein duzend Ausstellungen im Erdgeschoss gezeigt wurden und in dem fünf Tage die Woche im Keller gefeiert wurde
  • Die Rote Zelle in Schwabing mit zwölf Ausstellungen von Sommer 2004 bis Sommer 2005, kuratiert vom Akademie-Professor Olaf Metzel und initiiert von einem Grafikbüro
  • Die 2002 gegründete Galerie Royal von Sigrid Schwarz, Peter T. Lenhart und Jörg Blumtritt in Pasing
  • mini salon seit 2002 in Rüdiger Belters Wohnung im Westend
  • hobbyshop in der Lothringerstrasse, gegründet von 1999 von Künstlern in Leipzig und seit April 2005 in München
  • Die seit 2003 bestehende Ambulante Galerie, die sich auf Künstler aus Ostbayern und Oberösterreich spezialisiert hat
  • Den Weltraum in der Rumfordstrasse, der seit Sommer 2004 neben Ausstellungen auch Filme zeigt.

Weitere Ausstellungsräume sind:

  • du-ag im Westend, geleitet von der Künstlerin Marzieh Kermani und Tina Köhler, die ansonsten im Haus der Kunst Ausstellungen organisiert
  • Kult 21 in der Maxvorstadt von der aus Frankfurt stammenden Künstlerin Yutta Bernhardt
  • 84 GHz stellt jeden zweiten Freitag im Monat ihre Räume zur Verfügung, in denen Künstler ihre Werke zeigen können Jour Fix bei 84 GHz
  • Dunstkreis Experiment“ der Akademie-Studentinnen Franka Kassner und Anna Friedel zeigt ohne eigene Räume Künstler, zum Teil mit Gast-Kuratoren. Zuletzt machten sie eine Woche lang im Februar 2005 an sechs verschiedenen Orten Veranstaltungen, so auch im Raum 500 und im Montagsclub.
  • An verschiedenen Orten, oft leerstehende Läden, stellt auch Stephanie Bender mit ihrer Wandergalerie vorwiegend junge Künstler aus, zusätzlich zeigt sie meist noch Arbeiten bei sich daheim. Auf Ausstellungen in Privatwohnungen haben sich dagegen die Transformers (Kim Nekarda und Doris Mampe) spezialisert.
  • An Institutionen sind es Kunstverein München, Kunstraum, Akademiegalerie, lothringer13 und ZKMax, sowie hin und wieder Museen, in denen jüngere Kunst präsentiert wird.

In der klassischen Galerienszene bereichert seit März 2003 ein junges Galeristentrio, bestehend aus Dina Renningers DinA4 Projekten, den Galerien Zink & Gegner und Grimm/Rosenfeld. Sie nutzten die räumliche Nähe geschickt aus und eröffneten öfter am gleichen Tag ihre Ausstellungen. An diesen Abenden flanieren in der Maxvorstadt oft bis zu 200 Besucher – ein bunt gemischter „Kunstzirkus“, an dem auch Kuratoren und Sammler teilnehmen, so Dina Renninger. Auf den Vernissagen treffen sich Künstler und Kunstinteressierte, es wird geplaudert, getrunken, meist legt ein DJ auf oder eine Band spielt. Über Kunst unterhält man sich oft nur am Rande und das Kunstpublikum bleibt oft unter sich. Wenn in Galerien über Kunst gesprochen wird, dann meist bei Führungen. Der lothringer13/Freundeskreis bietet Rundgänge und Künstlergespräche an. Dies wird vom interessierten Publikum dankend angenommen, dennoch ist der Dialog schwer: Zu groß der Wunsch der Gäste nach Erklärung und zu gering das Interesse der Künstler, vor dem fertigen Werk neue Ideen zu entwickeln.

So ist Kunst, vielleicht gerade auch in München, immer wieder in Gefahr, als leicht konsumierbare Häppchen zwischen Bar, DJ und Designermöbel gesteckt zu werden, an Orten wo Zeit für Reflexion und vertiefender Auseinandersetzung fehlt. Die Luitpold Lounge versucht einen Weg der publikumsgerechten Aufbereitung und Heranführung zur Kunst zu beschreiten. Finanziert von der Eigentümerfamilie des Edel-Einkaufszentrums Luitpold Block an der Briennerstrasse veranstaltet die Kunsthistorikerin Elisabeth Hartung seit Anfang 2003 Diskussionen, Performances, Filmvorführungen und Band-Auftritte.„Wir spüren die Themen der Zeit auf und erarbeiten konzeptionelle Projekte als Plattform für den kulturellen Diskurs der Gegenwart.“ so die Selbstdarstellung auf der Webseite. Zwar nimmt ein gestyltes Publikum das interdisziplinäre Programm gerne in Anspruch, dass Interesse scheint aber oft stärker auf Konsum als auf Diskurs gerichtet.

Diese Mischung aus Szene-Publikum und Kunst-Events stellte auch der Musterraum in dreißig Nächten zwischen September 2003 und Dezember 2004 zur Nutzung bereit. Ein achtköpfiges Kuratorenteam leitete das durch Eintrittsgelder finanzierte Programm im Kubus neben der Pinakothek der Moderne, eine Mischung aus Videoarbeiten internationaler und auch bekannter Künstler und Clubbetrieb. An anderen Abenden gab es Performances und Radio-Basteleien, oder Architekturpräsentationen.

Während Luitpold Lounge und Musterraum mit ihren designten Räumen gut in die schicke Münchner Szene passen, ist der Kulturkiosk Kanzler eher ein fremdes Objekt in einer zur Gleichförmigkeit tendierenden Stadt. Das ebenerdige Gebäude an der Ecke Gabelsberger-/Luisenstrasse wirkt mit seiner großen Fensterfront wie ein Bild von Eduard Hopper. Nach dem Auszug der Buchhandlung Kanzler wurde der Innenraum in seiner Rohform belassen. Der 30-jährige Architekt Jakob Bader nutzt die Räumlichkeit zwischen und etablierte von August 2003 bis August 2004 ein breitgefächertes Ausstellungsprogramm für „Nachbarn, einsame Herzen, Studenten, Opportunisten, Intellektuelle, Spinner“. Zwischen 10 und 150 Gästen pro Veranstaltungstag finanzierten so das alternative Programm über den Getränkeverkauf. Ausgestellt wurden oft junge Künstler aus dem Akadmie-Umfeld.

Zusätzlich gab es politische Diskussionsabende und Vorträge. Ähnlich wie bei den program angels vernetzte das Programm Leute aus unterschiedlichen Bereichen und Disziplinen. An einem Abend zeigte man Werke von Mies van der Rohe per Diashow, am Karfreitag gab es Bibellesungen oder einen Abend über Jesus als Aufklärer. Erik Händeler sprach im Kulturkiosk Kanzler, wie zuvor bei den program angels im Rahmen der Gartentor-Golf-Ausstellung, über langwellige Wirtschaftszyklen.

Eine bunte Mischung aus „Lesungen, Theaterstücken, Konzerten und Ausstellungen. Autoren, Schauspielern, Tischtennisprofis, Blaskapellen, Zauberer, Musikern. Comiczeichnern, Puppenspielern, bildenden Künstlern, Staatsgründern, Tänzern, Filmemachern“ bot Isabel Kienemann von Herbst 2002 bis Sommer 2005 im Montagsclub einmal im Monat im Foyer des Volkstheaters. Mit sub- und popkulturellen Elementen gespickt, scheute das Programm keine Experimente und zeigte wie man verschiedene kulturelle Disziplinen in den Räumen eines städtischen Theaters mischen kann.

Im April 2003 wurde die »Ponybar« von Yvonne Leinfelder, Susu Gorth und Heidi Mühlschlegel gegründet. Ein Jahr lang bot sie jeden zweiten Donnerstag im Haus 16 der Domagkstraße 33 Installationen, Performances und Konzerte von jungen Münchner Künstlern, die zum Teil auch bei den program angels zu Gast waren. So gab es Abende mit Judith Egger, Tommy Schmidt, Thomas Glatz, Anne Hacket, Holger Dosch und Martin Schmidt-Schweda. Die Ponybar war eine der wenigen Veranstaltungen, die regelmäßig Künstler aus den 250 Ateliers der außerhalb des Mittleren Rings gelegenen Domagkstrasse mit Besuchern von außen zusammenbrachte. Auf Grund des ähnlichen Konzepts kam es zu wiederholten Kooperationen mit den program angels.

Größere Überschneidungen gab es auch zwischen den Gästen der Ponybar und denen des Salons von Annette Schemmel. Von Februar 2003 an fand er genau ein Jahr lang statt, bis die Gründerin Annette Schemmel für einen Studienaufenthalt nach Ljubljana ging. Zwischen zwanzig und vierzig Besucher fanden sich alle drei Wochen in der Privatwohnung der Salonière ein, die von sich selbst sagt sie pflege eine „recht vage, aber dafür umso romantischere Vorstellung“ der historischen Salons. Im Unterschied zu Rosa von der Schulenburgs Salon wurde nie bekannt gegeben, wer vortragen würde, um ein möglichst bunt gemischtes Publikum zu haben. Inhalt der Präsentation war ein „möglichst ausgereifter, aber bis dahin unveröffentlichter Forschungsstand aus den verschiedensten Bereichen kultureller Produktion.“ Das meist vokale Programm wurde bildnerisch durch eine Gesamtinszenierung erweitert, denn die Gastgeberin gestaltete ihr Wohnzimmer passend oder provokativ zur jeweiligen Präsentation. Ihr Ziel war dabei immer „eine möglichst dichte Atmosphäre entstehen zu lassen, in der engagiert diskutiert werden kann“. Auch ein auf das Thema abgestimmtes Minibuffet wurde kostenlos oder auf Spendenbasis angeboten. Neben den Vorträgen gab es auch spontane Performances, so auch von Tommy Schmidt. Dem Salon hatten wir übrigens die Ausstellung „Conspiracy“ zu verdanken, denn die Ausstellungsmacher Alexis Dworsky und Anne Hacket hielten dort hintereinander Vorträge zu dem diesem Thema, woraus die Ausstellungsidee entstand. Am 5. Oktober 2003 war der Salon zu Gast bei den program angels. Zurzeit denkt Annette Schemmel über eine Neuauflage des Salons in neuen Räumen nach und lud zwischenzeitlich ein zur Marxlektüre mit Wolfgang Ullrich.

Salonabende, Vernissagen, Lounges, Clubabende, Podiumsdiskussionen und Vorträge – wie ordnen sich die program angels in die Vielfalt der Angebote ein? Uns war es immer wichtig Veranstaltungen anzubieten, die nicht nur die Kunstszene anspricht, Münchner Künstler mit Menschen aus anderen Disziplinen und aus anderen Orten zu vernetzen und Raum für Diskussionen und Experimente zu bieten. Wir wollen inhaltlich diskutieren wie in einem Salon und Raum geben für unterschiedliche Darbietungen. Zu uns kommen Menschen um andere Disziplinen kennen zu lernen und um sich vor und nach den Veranstaltungen gemütlich zu unterhalten. Letztendlich ist es immer eine Gradwanderung die richtige Mischung an Themen, an Präsentation und Interaktion, Offenheit und Struktur zu wahren.