Mikrophon (Münchner Open Mic)

aus sub-bavaria, dem Internet-Lexikon der bayerischen Subkulturen
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Das Open-Mic-Mikrophon erzählt

von Thomas Glatz


Die meiste Zeit friste ich ein eher bescheidenes Dasein. Ich wohne in einer staubigen grünen Holzkiste, die dem Tontechniker Andy Wott gehört, zwischen Kabelsalat, schwarzem und beigem Gaffertape. Die Gaffers sind ganz nett, nur manchmal übertreiben sie es etwas und erzählen anzügliche Bauarbeiterwitze. Da bin ich etwas heikel. Das beige Tape kennt allerdings eine Fülle von Ostblockwitzen. Die sind zwar schon etwas älter, aber zeitgeschichtlich nicht uninteressant. Breschneew eröffnet 1980 die Olympischen Spiele in Moskau. Er liest vom Blatt: „Oh,oh,oh,oh,oh…“. Sein Sekretär sagt aufgeregt: „Aber Genosse Breschneew, das sind doch die olympischen Ringe!“ Angeblich ist das eine wahre Geschichte. Oder: Breschneew besucht das Kloster Sagorsk. Moment. Ich wollte Ihnen ja von meiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Open-Mic-Mikrofon erzählen. Die Schriftstellerin Nancy Peiffer aus Chicago hat diese Veranstaltung vor acht Jahren in der Künstlerkolonie Domagkateliers im Norden Münchens angesiedelt. Ein Open Mic ist normalerweise ein Vorprogramm eines Poetry Slams oder einer HipHopJam, in den USA auch eine offene Bühne für regionale Blues- und Rockbands. In den Domagkateliers hat die Veranstaltung einen ganz eigenen unverwechselbaren, abendfüllenden Charakter entwickelt. Besucher schreiben sich in eine Sign-Up-Liste ein und geben bis zu zehnminütige Darbietungen zum Besten. Die meisten Gäste lesen eigene Texte, aber auch Musik und Performances aller Art sind willkommen. Na und was ich da alles gehört habe! Ein Open Mic ist keine gewöhnliche Literaturveranstaltung (Günter Grass liest in der Volkshochschule bei einem Glas Wasser und möchte dabei nicht gestört werden sagt Wiglaf Droste). Auf einem der ersten Open Mics gab es Jovan Jovanovic,einen serbischen Künstler, der eine Überforderungsperformance aufgeführt hat. Er improvisierte auf einem Syntheziser, während er gleichzeitig drei Gedichte schrieb, die er vorlas, während er mit der anderen Hand sein Instrument bemalte. Oder die „piss in bottle performance“ von Joe. Da habe ich mit Rückkoplungen meinerseits nicht gegeizt! Aber das erzähle ich ihnen lieber nicht. Jovan Jovanovic hat später – das muß im Juli 1998 gewesen sein – die Hausschweine bemalt. Der Künstler Blödgott hielt sich in der Künstlerkolonie nämlich damals drei vietnamesische Hängebauchschweine als Kunstprojekt, wurde vom Vorstand des Kunstvereins verklagt und scheiterte am Landgericht München II in zweiter Instanz mit seinem Vorhaben. Bei der großen Symphonie für Schweine von Punkt 24 und Elmar H. Guantes durfte ich auch mit dabei sein! Das war großartige Musik! Ich habe schon großartige Musik gehört! Teddy Alemmu auf der Kirarr, einer äthiopischen Harfe. Die japanischen Tsunami Riders, die Wolf Biermann Explosion und die Ähnlichen Künstler, Jazz Levenberg aus Südafrika, MoP, Jeffrey Hayes, The final Curtain, die Great things echoes, Experimentaljazz von Schaufel. Elektronischen Noize von Andy Wott und Epileptic Rootz. Einmal hat sogar der Kamerakino-Sänger eine Human-Beat-Box-Version des „Trans-Europa-Express“ durch mich gesungen. Das ging mir durch und durch. Als wir einmal im Pathos Transport Theater zu Gast waren hat sogar Joachim Deutschland mit mir gesungen. Wollte sagen in mich. Ich habe schon unzählige von Gedichten und Geschichten gehört. Unglaublich öde, langweilige, mäßige, spannende, mitreißende und geniale Texte. Christine Wunnicke hat aus „Jetlag“ gelesen und Clauida Singer, bevor sie noch nicht bei Rowohlt gelandet ist. Wieviele Stabreime, Binnenreime, Zisch- und Zungenlaute, Kehl- und Schnalzlaute ich mir schon habe anhören müssen! Ich habe ein schlechtes Namensgedächtnis. Aber die Leute, die öfter kommen und lesen kann ich mir schon merken. Axel Klingenberg, Hypochonder Rockstein, Stein Vaaler, Brian Burger, Rhymemantiker, Relevant Elephant, Mayerbeetle, Matthias Vogel, Nikolai Vogel, HP Vogel, Ed Schmitt, Tommy Schmidt, Rosy Stegmann, Ingo Lachmann, Andreas Heckmann, Afrah Farah, Boris, Doris, Vera, Eduard Link, Shevya. Komisches Pseudonym, dachte ich mir. Warum nennt sich ein junger Mann „Shevaya“ (der der sich verliert, während ein Zug vorbeifährt)? Shevaya hat sich im Hobbykeller seiner Eltern autodidaktisch tuwinischen Obertongesang beigebracht:. Einmal hat er – mit einem Leuchschwert bewaffnet – ein Obertongesangsduell mit dem Hund eines Besuchers ausgetragen. Ich weiß aber nicht mehr, wer gewonnen hat. Ich glaube Kalina, der Hund. Einer der schönsten Abende war das fünfjährige Jubiläum. Da denke ich gerne daran zurück. Da weihte ein echter Monarch, König Lutz I. von Domagk, die Jubiläumsveranstaltung feierlich ein. Ich stand ganz allein auf der Bühne, während der Monarch das rote Band durchschnitt! Netzhaut führten im Hof eine gigantische Feuerperformance auf. Der US-Slammer Aquiy stattete uns im Rahmen seiner Europa-Tournee einen Besuch ab. Und Slam- Ikone Patzak performte aus dem Stegreif den Text, den er angeblich auf dem allerersten Open Mic vorgetragen hatte. Mann, war ich wichtig an diesem Abend!

Als die Frau, die mich einst gekauft hat, Nancy Peiffer 2001 nach Rotterdam zog, wurde die Veranstaltung von dem Literaten Thomas Glatz und dem Tontechniker Andreas Wott weitergeführt. Auch der Musiker Jan Bruhnke (Cloinc) war ein Jahr lang mit von der Partie. Aus Platzgründen zog die Veranstaltung 2004 aus der Künstlerkolonie in den Westen der Stadt. Jeden dritten Sonntag im Monat ist nun die gemütliche Weltwirtschaft in der Schwanthalerstraße 80 der neue Austragungsort. Vielleicht sehen wir uns da einmal. Ich kenne eine Menge guter Witze. Kommen sie mal zu mir, in der Pause, wenn Moderator und Stargst-Co-Moderator mit den Gästen plaudern und der DJ mir eine Verschnaufpause gönnt.